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Mittwoch, 15. Dezember 2010

Studien-Kolloquium über die Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft (Isoëto-Lobelietum) am 10.12.2010

Ausgangspunkt war die Anfrage von Marlene Naskar, Studentin der Umweltwissenschaften in Oldenburg, nach einem Beratungsgespräch zu ihrer Bachelor-Arbeit. Wir haben das sogleich zum Anlass genommen, daraus ein kleines Kolloquium zu machen, in dem auch weitere Interessenten des Akademie-Kreises teilnehmen konnten.

Um für alle eine Einführung in die Thematik zu geben, präsentierte Christoph Vahle zunächst den besonderen Lebensraum, den Heidesee, mit seiner vom Aussterben bedrohten Pflanzenwelt in einer Diashow. Da diese farbige Präsentation hier nicht wiederholt werden kann, sei statt dessen auszugsweise aus dem Buch „Die Pflanzendecke unserer Landschaften“ von H.-Ch. Vahle zitiert. Dort geht es um die Beschreibung des noch am besten erhaltenen nordwestdeutschen Heidesees, des Wollingster Sees, und zwar in seinem Zustand von vor etwa 100 Jahren. Dieser Zustand kann aufgrund vieler früherer Untersuchungen und Erzählungen sowie alter Fotos gut rekonstruiert werden:
 

Das optimale Bild der Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft

Angesichts der alten Fotos kann man nur staunen, wenn man den Wollingster See von heute kennt. Da, wo sich heute Schilfröhrichte, Büsche und Bäume, Äcker und Wiesen ausdehnen, war früher nichts als Heide bis zum Horizont (Bild 1)! Bäume und Sträucher waren nur spärlich in die niedrige Vegetationsdecke eingestreut, allein der Seeberg hob sich deutlich aus der flachen Ebene.


Daneben der Wollingster See mit hellem, fast weißen Sandstrand – und kein Schilfröhricht weit und breit! Nur ein spärliches, kniehohes Gehälm aus meergrüner Schnabelsegge (Carex rostrata), dunkelgrüner Gewöhnlicher Sumpfsimse (Eleocharis palustris) und hellgrüner Zitzen-Sumpfsimse (Eleocharis mamillata) umsäumten den See als lockeres Band; sie setzten dem Wind kein Hindernis entgegen, der ungehindert über das Wasser fegen konnte. Er erzeugte im flachen Uferwasser starken Wellenschlag und Turbulenzen, was im Sandboden zur Bildung von Rippelmarken führte und etwaige organische Schwebstoffe in die Tiefe spülte. In dem sehr klaren, schwach gelblich gefärbten Wasser watend konnte man den hellen, kiesigen Sand stellenweise bis weit in den See hinein verfolgen, bevor er in der Tiefe dem Blick entschwand. Der sandige Strand und das helle Flachwasser, dessen Grund an keiner Stelle von dunklem Schlamm bedeckt war, zog sich um den ganzen See herum (Bild 2).


Auf dem sandigen Gewässerboden zwischen den lockeren Seggen- und Simsen-Halmen und im freien Wasser davor siedelte der niedrige, frischgrüne Unterwasserrasen der Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft (Bild 3), der den ganzen Seeboden bis in eine Tiefe von 4-5 m bedeckte. Heute sind diese Rasen meist auf nur noch wenige Quadratmeter geschrumpft; man kann aber noch eine Ahnung von der ganzen Gesellschaft bekommen: Aus dem Boden ragen kurze, spitze Blättchen – wie kleinste Binsen sehen sie aus, nur wenige Zentimeter hoch und hellgrün, und sie überziehen den Boden in teils lockerem, teils dichtem Teppich. Hat man zunächst den Eindruck gewonnen, als hätte sich der Gewässerboden mit einem Stachelkleid überzogen, wird man eines Besseren belehrt, wenn man barfuss über den Rasen durch das Wasser watet. Die Pflanzengesellschaft fühlt sich dann zwar etwas knorpelig an, ist aber doch insgesamt recht weich. Mehrere der hellgrünen, zum Grund hin weißlichen Blätter werden durch die Fußtritte abgebrochen oder abgerissen und treiben nun wie Korken zur Wasseroberfläche. Prüfend in die Hand genommen, zeigt sich eine sehr schwammige Struktur des Blattinnern, das aus einem ausgeprägten Luftgewebe (Aerenchym) besteht.

Schaut man sich die Rasengesellschaft etwas genauer an, fallen innerhalb dieser sehr einförmigen Wuchsform doch unterscheidbare Gestalten auf. Gedrungene, deutliche Rosetten aus zahlreichen Blättern, die zurückgebogen und vorne leicht abgerundet sind, gehören zur Wasserlobelie (Lobelia dortmanna, Bild 4). Der Strandling (Littorella uniflora, Bild 5) bildet mit seinen Ausläufern meist dichte Matten aufrechter, zugespitzter Blättchen, die nicht in Rosetten stehen. Kommt man Anfang Juli an den See, findet man kleine weißliche bis hellblaue Blütenglöckchen, die zu mehreren an einem Stiel sitzen, der etwa 15 cm aus dem Wasser schaut. Das sind die Blüten der Wasser-Lobelie, die von den grundständigen Blattrosetten an langen Stielen aus dem Wasser gehoben werden.


Die dritte Art, das Brachsenkraut (Isoetes lacustris, Bild 6), ist in den Flachwasser-Rasen kaum zu entdecken, da es erst im metertiefen Wasser wächst und flachere Uferzonen meidet. Am ehesten findet man ganze Pflanzen oder deren Blätter am Strand angespült. Hier fallen sie beim genaueren Hinsehen durch die etwas längeren, dunkelgrünen, nadelspitzen und vorne leicht umgebogenen Blätter auf, die glasig-durchscheinend und innen deutlich gekammert sind. In dem löffelförmig verbreiterten Blattgrund kann man bei etwas Glück auch die kleinen Sporenkapseln entdecken – denn das Brachsenkraut ist eine farnverwandte Pflanze. Alle drei Pflanzenarten sind lichtliebend und auf reinen, sandig-kiesigen Boden angewiesen; sie würden bei nur wenigen Zentimetern Schlammauflage ersticken und eingehen.


Aktuelle Zustände und die Frage nach der Erhaltung und Entwicklung

Heute sieht das alles ganz anders aus. Marlene Naskar hatte in diesem Sommer die drei noch verbliebenen Heideseen Niedersachsens und außerdem zwei entsprechende Seen in Schleswig-Holstein untersucht. Das hat sie uns mit einer interessanten Präsentation nahe gebacht. In Niedersachsen – und nur hierum geht es in der Bachelor-Arbeit – gibt es inzwischen keinen Heidesee mehr, in dem alle drei charakteristischen Pflanzen gemeinsam vorkommen. Im Groben und Allgemeinen wissen wir zwar, woran das Verschwinden dieser Arten liegt, nämlich an der Eutrophierung, an der Versauerung und an der Aufgabe der alten Heidewirtschaft, die die Seeumgebung früher licht- und windoffen gehalten hat. Aber im Einzelnen gibt es doch noch viele ungelöste Fragen, z.B, warum im Silbersee zuerst die Lobelie ausstirbt und im Wollingster See das Brachsenkraut, oder warum sich heutzutage die lichtliebenden Pflanzen in den Halbschatten der Uferbüsche zurückziehen. Die ganz große Frage ist auch, ob sich die Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft wieder aus der Samenbank des Bodens regenerieren lässt und wie man unter den heutigen Bedingungen das Gewässer-Milieu gestalten muss, damit sich die Pflanzen wieder optimal entwickeln können.


Ganzheitliche Ansätze zum Verständnis der Lebensprozesse im Heidesee

Wir haben im letzten Teil des Kolloquiums versucht, den goetheanistisch-naturwissenschaftlichen Ansatz auf die Problematik der Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft anzuwenden. Es war die Frage, ob sich hierdurch vielleicht neue Aspekte zum Verständnis ergeben.

Das erste Augenmerk hierbei galt der besonderen Vegetationsgestalt, ist doch das linealische Gestaltelement der Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft etwas ganz Ungewöhnliches für eine Unterwasservegetation. Eine Gestaltgemeinsamkeit findet man am ehesten mit den Magerrasen, z.B. den Borstgrasrasen: auch hier nadelige, strahlige Formen, teilweise auch in Büschelwuchs. Dies bringt die Heidesee-Vegetation in Zusammenhang mit dem Luftelement.

Die nächste Frage war: Wo hat der Magerrasen mit seinen strahligen Vegetationsformen seinen Platz in der historischen Kulturlandschaft? Und wo steht hier der Heidesee? Beide gehören in den „äußeren Ring“ der Dorfgemarkung. Nach dem Organismus-Konzept (nachzulesen in „Die Pflanzendecke unserer Landschaften“) würde die äußere Magerrasen-Zone der Dorfgemarkung dem „Nerven-Sinnes-Pol“ angehören und der Vergleich mit dem menschlichen Auge liegt sehr nahe, wie wir an einigen anatomischen Bildern studieren konnten.

Der Heidesee als Auge der Landschaft – was kann das für eine zukünftige Landschaftsentwicklung und für die Neugestaltung der Heideseen bedeuten? Kann man hieraus übergeordnete Gesichtspunkte formulieren?

Ganz zum Schluss widmeten wir uns noch der Frage, ob wir – wenn wir schon mit dem Konzept des dreigliedrigen Organismus arbeiten – auch die ganze Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft dreigliedrig betrachten können und was das bringen würde. Denn sie besteht ja tatsächlich aus drei Gliedern: Brachsenkraut, Lobelie und Strandling. Wir haben diese Dreigliederung hinsichtlich der europäischen Verbreitungsareale, hinsichtlich der Trophiegliederung, der Tiefenzonierung und einiger anderer Parameter angeschaut und sind da zu verblüffenden Übereinstimmungen gekommen.


Überlegungen zu praktischen Konsequenzen

Zum Schluss haben wir ein Brainstorming für notwendige Optimierungs- und Erhaltungsmaßnahmen zusammengetragen. Als ganz wichtig und bisher zu wenig berücksichtigt scheint uns zu sein, das Augenmerk auf den Fischbesatz zu legen. Denn es ist zu vermuten, dass verschiedene Fische (Weißfische, Katzenwelse u.a.) das Wachstum und die Neu-Etablierung der Brachsenkraut-Lobelien-Gesellschaft massiv behindern. Denn warum hat sich auf dem frisch abgeschobenen Sandboden des Wollingster Sees bisher keine der drei Arten etablieren können? Warum wachsen die Pflanzen vornehmlich im „Schutz“ (!) von Röhrichten und Uferbüschen? Zum Vergleich: In den flachen Heideweihern, namentlich Ahlder Pool und Farger Heidetümpel, haben sich nach Abschieben sofort große Mengen von Lobelien etabliert – und in diesen Flachgewässern gibt es keine Fische.

Allem Weiteren wollen wir aber nicht vorgreifen und die fertige Arbeit von Marlene abwarten.


Bericht: Hans-Christoph Vahle

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